G-BA und Regierungskommission drängen auf Strukturfonds
Von Thomas Trappe, Tagesspiegel Background, 26.10.2023
Bei einem Fachforum geht G-BA-Chef hart mit den Reformplänen von Minister Lauterbach ins Gericht. Ebenso wie Regierungskommissionsmitglied Karagiannidis fordert Josef Hecken einen Strukturfonds. Die DKG sieht eine Mogelpackung im jüngsten 5-Milliarden-Hilfspaket.
Für Thomas Lemke, Vorstandschef der Sana Kliniken AG und Vizepräsident bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), ist es ein kleines Schauspiel, und zwar kein vergnügliches. Am Anfang habe eine Ministerpräsidentenkonferenz gestanden, die vor zehn Tagen vom Bund fünf Milliarden Euro Nothilfen für die Kliniken forderte. Im zweiten Akt seien „wie durch ein Wunder“ diese fünf Milliarden Euro in einer Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOKs aufgetaucht. Nämlich als liquide Mittel, die, so Lemke, „bis auf eine große Krankenkasse“ alle anderen als Rücklagen für noch ausstehende Pflegebudgetzahlungen vorliegen hätten. Herausgekommen sei bei der Inszenierung, so jedenfalls Lemkes Lesart, eine Änderung beim Transparenzgesetz, mit der die von der MPK und den Gesundheitsministern geforderten Summen nun doch noch flössen. Erneut sei damit die Glaubwürdigkeit der Politik aufs Spiel gesetzt worden, sagte Lemke gestern beim Expertenforum der Unternehmensberatung RS Medical Consult. Denn die fünf Milliarden seien schlicht „fürs Schaufenster“ – zur Besänftigung der Länder, aber eben nicht zum Nutzen der Kliniken.
Schon vorgestern beklagte die DKG, dass es um Geld gehe, was den Häusern sowieso zustehe, nicht um zusätzliche Hilfe. Lemke verdeutlichte nun, dass es letztlich wohl nicht einmal in den Häusern ankommen werde. „Das wird direkt weitergeleitet an die Banken“, meinte der Sana-Chef, schließlich hätten die Kliniken in den zurückliegenden Jahren die nicht überwiesenen Pflegebudgets vorstrecken müssen, etwa über Kontokorrentkredite. Konkret seien es bei den Sana Kliniken 130 Millionen Euro gewesen, die vorfinanziert werden mussten, sagte Lemke. Die Sana Kliniken AG betreibt bundesweit 51 Häuser: Rechnet man das ausgelegte Pflegebudget hoch auf alle Kliniken Deutschlands, kommt man tatsächlich auf eine Summe im mittleren einstelligen Milliardenbereich.
Der G-BA wird nicht gefragt
Dass ein DKG-Vize wenig warme Worte für die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplanten Krankenhausreformen übrig hatte, konnte dabei nicht überraschen. Die Häuser kämpften gerade um „die nackte Existenz“, sagte Lemke, der Fokus auf die Vermeidung von Insolvenzen und Zahlungsausfällen binde jede Kraft von Klinikmanagern, sich den von der Politik „ins Stammbuch geschriebenen Aufgaben“ zu widmen. So weit, so bekannt.
Pessimistisch klang es gestern aber auch aus einer anderen Ecke. Josef Hecken, der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), machte dabei aber zumindest eine Gemeinsamkeit mit der DKG aus. Nämlich die, von Lauterbach bei der Reform „vor die Tür gesetzt“ worden zu sein. Er werde bei der Krankenhausreform – und auch sonst – von Lauterbach „nicht viel um Rat gefragt“, und wenn der G-BA etwas beschließe, folge gerne auch mal eine Beanstandung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG). Hecken spielte damit auf die Entscheidung Lauterbachs im September an, die Ersteinschätzungs-Richtlinie des G-BA zu beanstanden: Inzwischen klagt der G-BA gegen diese Beanstandung.
Begründet wurde die Beanstandung seinerzeit vom BMG auch damit, dass die Richtlinie Regelungen unterliefen, die später mit Notfall- sowie Rettungsdienstreform eingeführt werden sollen. „Bis dahin wird es ja sicher noch ein paar Wochen dauern“, ironisierte Hecken, „es wäre schön gewesen, in der Zwischenzeit in den Notaufnahmen Platz zu machen für die Patienten, die behandlungsbedürftig sind.“ Auch am Zeitplan für die große Krankenhausreform zweifelte Hecken, plädierte gleichzeitig für Tempo. Andernfalls komme man ins „Gestrüpp“ der Landtagswahlen im kommenden Jahr, was seriösen Verhandlungen zwischen Bund und Ländern nicht dienlich sei.
Kritik an Leistungsgruppen-Modell
Hecken machte schon frühzeitig deutlich, dass er sich bei den Vorarbeiten zur Krankenhausreform mehr Mitsprache des G-BA gewünscht hätte, vor allem, weil dieser mit dem gestuften System der Notfallversorgung bereits ein Instrument vorgelegt habe, auf das man hätte aufsetzen können. Dies sei nicht geschehen, aber auch von den Vorschlägen der Regierungskommission sei nach aktuellem Stand „nicht mehr ganz so viel“ übrig, was er bedauere. Als „hochproblematisch“ sieht Hecken das Zugeständnis an Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU), im Bund zunächst das NRW-Leistungsgruppenmodell anzuwenden, inklusive weniger Ergänzungen. Mit maximal 70 Leistungsgruppen sei eine „Binnendifferenzierung“ schlicht nicht möglich, könnte Strukturvoraussetzungen für spezialisierte Eingriffe nicht detailliert genug definiert werden. Verschärft werde dies durch den Abschied von der Leveleinteilung, beklagte Hecken.
Der G-BA-Chef scheint sich damit abgefunden zu haben, dass der G-BA bei der Krankenhausreform weitgehend zum Zuschauen verdammt ist, wie er deutlich machte. Für Länder und Bund sei der G-BA mittlerweile offenbar „das Feindbild, alles, was der G-BA beschlossen hat, muss im Orkus der Geschichte verschwinden“. Er jedenfalls wolle für sein Gremium reklamieren, dass es nicht „in Mitverantwortung stehe für das, was nächstes Jahr in Kraft treten soll“.
Trotz des präsentierten Fatalismus hofft Hecken weiterhin auf Anpassungen am Gesetz in Richtung dessen, was von der Regierungskommission vorgelegt wurde. „Ansonsten ist es eine vertane Chance, dann passiert erst mal 15 Jahre wieder nichts.“ Zwingend begleitet werden müsste die Krankenhausreform – die nach derzeitigen Plänen frühestens Ende der 20er-Jahre voll wirksam wird – durch einen Transformationsfonds, mit dem der Um- und Abbau von Kliniken finanziell begleitet würde. Nur so könnten ohne politische Verwerfungen vor Ort in den kommenden acht bis zehn Jahren Klinikreformen im Sinne der Regierungspläne angepasst werden. Immerhin: Einen Transformationsfonds brachte jüngst das BMG schon vorsichtig in die Diskussion ein, auch wenn dabei über konkrete Höhen offiziell noch geschwiegen wird.
Drittelfinanzierung für Strukturfonds?
Christian Karagiannidis, Universitätskliniker und führendes Mitglied der Regierungskommission, bezeichnete den Strukturfonds ebenfalls als unverzichtbar für das Gelingen der Reform. Nachzudenken wäre hier über eine Drittelfinanzierung zwischen Bund, Ländern und Krankenkassen. Nötig seien laut Karagiannidis bundesweit etwa 1000 bis 1100 Standorte, bei denen viele aus Fusionen mehrerer kleiner Häuser hervorgehen könnten. Personell sei der „Istzustand der deutschen Krankenhauslandschaft in keinem Fall haltbar“, der Schlüssel zur Reform sei das „exorbitant hohe Ambulantisierungspotenzial“ in den Kliniken.
Wie zuvor Hecken sah auch Karagiannidis in der Beschränkung auf maximal 70 Leistungsgruppen ein großes Problem. Die Regierungskommission hatte doppelt so viele vorgeschlagen, optimal seien „wahrscheinlich 170“. Es gelte nun aber, mit den Vorgaben zu arbeiten. Im Lichte der teils hitzigen Diskussion beim Expertenforum plädierte Karagiannidis dafür, in der Diskussion „abzurüsten“, die Reform werde nur „im Konsens glücken“. Auch die Zusammenarbeit mit dem G-BA, nicht zuletzt der Rückgriff auf das gestufte System der Notfallstrukturen, sei dafür nötig. „Sonst kommen wir aus dieser Krise nicht heraus.“ Mit Blick auf den für November erwarteten Referentenentwurf zur Reform prophezeite Karagiannidis noch deutliche Änderungen. „Die durchgestochenen Punkte würde ich nicht auf die Goldwaage legen“, sagte er.
Sana-Chef Lemke wiederholte indes seinen Appell von Jahresbeginn, bei der Krankenhausreform ehrlich zu kommunizieren – im Moment würden von Lauterbach die eigentlichen Ziele verschleiert. „Er ist zutiefst davon überzeugt“, unterstellte Lemke dem Minister, „dass eine zentral organisierte Versorgung das Richtige ist“, würden die Ziele umgesetzt, „werden wir in eine planwirtschaftliche Staatsmedizin hineinwandern“. Den Vertrauensverlust, der durch die jüngst beschlossene Fünf-Milliarden-Aktion hervorgerufen werde, sei da nur die Spitze des Eisbergs. 310 Millionen Euro, rechnete Lemke vor, seien bis jetzt vom Steuerzahler schon aufgewendet worden, um die (bislang in ihrer Zahl noch überschaubaren) Krankenhausinsolvenzen abzufedern. Es könne nicht Botschaft der Politik sein, warnte Lemke, mit Klinikpleiten Strukturpolitik zu machen – weder finanziell sei dies nachhaltig, schon gar nicht aber gesellschaftspolitisch. „Mir fehlt hier einfach das systemische Denken“, so der DKG-Vize.
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